Positionen

EuropaVerband für häusliche Pflege und Betreuung e.V.
www.VerbandPflege.eu

Berlin, den 6. April 2023

POSITIONSPAPIER
ZU DIVERSEN EINSATZMODELLEN VON OSTEUROPÄISCHEN BETREUUNGSKRÄFTEN IN DER BUNDESREPUBLIK
DEUTSCHLAND

Die Betreuung in häuslicher Gemeinschaft (häusliche Betreuung) ist neben der stationären Pflege (Pflegeheim) und der ambulanten Pflege (Pflegedienst) zur wichtigsten Säule der Versorgung von alten, kranken und pflegebedürftigen Menschen in Deutschland geworden.

Eine Betreuung im gewohnten Umfeld ermöglicht dem Pflegebedürftigen weiterhin in Würde in den eigenen vier Wänden zu leben. Zwischenmenschliche Begegnungen sind im Alter essenziell. Das Treffen mit Nachbarn, Freunden und Familienangehörigen sind geben den älteren Personen, die Sicherheit, dass das alltägliche Leben, wie sie es gewohnt sind, weitergeht. In einem Altenheim fühlen sich die Menschen erst einmal fremd. Die Untersuchungen zeigen, dass das das Komfort des Pflegebedürftigen und demzufolge das Überlebensalter in den Pflegeheimen wegen der Einsamkeit und wegen wachsender Enthumanisierung niedriger ist als bei häuslicher Betreuung.

Den Schätzungen der Bundesregierung zufolge ist der Markt der häuslichen Betreuung in Deutschland durch Betreuungskräfte aus Mittel- und Osteuropa dominiert. Aus diversen Untersuchungen geht hervor, dass in Deutschland jeden Tag zwischen 350 und 500 Tausend osteuropäische Betreuungskräfte im Einsatz sind. Die Hauptursache für die signifikanten Unterschiede in den Schätzungen ist die verbreitete illegale Beschäftigung bei den deutschen Familien, vor allem im Fall von Drittstaatsangehörigen (Ukraine, Balkanstaaten udglm.).

In dem vorliegenden Positionspapier wird zu diversen Einsatzmodellen Stellung genommen.

Direktbeschäftigung einer osteuropäischer Betreuungskraft bei dem Pflegebedürftigen (oder bei Angehörigen)

Mehrere (auch gemeinnützige) Organisationen, Unternehmen, aber auch zunehmend innovativeStartups spezialisieren sich darauf, osteuropäische Betreuungskräfte an Pflegebedürftige gegen Entgelt oder kostenlos zu vermitteln.

Den Untersuchungen zufolge findet eine ordnungsgemäße Beschäftigung in weniger als 3% der Fälle statt. In 82% Fällen kommt bei diesem Modell überhaupt zu keinem Vertragsabschluss. 

Die Betreuungskräfte werden in diesem Modell deutlich unterhalb des Mindestlohnstandards vergütet und in den meisten Fällen unterliegen keinerlei Kranken- und Sozialversicherungsschutz.

Betreuungspersonen aus Osteuropa als Selbständige

Einige etablierte Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, für osteuropäische Betreuungskräfte in der Bundesrepublik Deutschland Gewerbe anzumelden. In einigen Fällen werden Betreuungskräfte in komplizierte Franchisesysteme hineingesteuert. Die vertraglichen Konstruktionen sind für ausländische Betreuungskräfte kaum verständlich und wenig transparent. Es wird vorgetäuscht, als wäre die Betreuungskrat ein Unternehmer, während in Wirklichkeit der „Organisator“, der Franchisegeber über die Einsätze, über Zeit, Länge und Ort des Einsatzes sowie über Urlaube udglm. entscheidet.

In diesem Einsatzmodell unterliegen die meisten Betreuungskräfte keinem Kranken- und Sozialversicherungsschutz und werden deutlich unterhalb des Mindestlohnstandards eingesetzt. Sie werden regelmäßig überzeugt, dass sie kein Anspruch auf Mindestlohn haben. Manchmal wird den Betreuungskräften eine fiktive Beschäftigung im Heimatland angeboten, um einen minimalen Krankenversicherungsschutz im Heimatland zu erschleichen.

Midi- und Minijobs: Sozialversicherungs- und Lohnsteuerbetrug

Mehrere Buchhaltungs- und Lohnbüros sowie Unternehmen spezialisieren sich auf geringfügige Beschäftigung von osteuropäischen Betreuungskräften. Während nur ein kleiner Teil der Vergütung zur Sozialversicherung und zur Lohnsteuer deklariert wird, wird der Großteil als Spesen, Kilometergeld, „Anzahlung“, udglm. ausgezahlt. Den Betreuungskräften wird vorgetäuscht, diese Lohnbestandteile wären kein sozialversicherungspflichtiger Lohn. Die Arbeitszeitaufzeichnung entspricht in diesem Fall nicht dem tatsächlichen Einsatz. – Jeden Monat werden lediglich einige bzw. einige Dutzend Stunden aufgezeichnet, während die Betreuungskraft tatsächlich rund um die Uhr den ganzen Monat im Einsatz und in Einsatzbereitschaft ist.

Die als Minijobber Beschäftigte unterliegen keinem Sozial- und Krankenversicherungsschutz. Für die als Midijobber Beschäftigte werden nur geringe Sozialabgaben gezahlt. Manchmal wird den Betreuungskräften eine fiktive Beschäftigung im Heimatland angeboten, um einen minimalen Krankenversicherungsschutz im Heimatland zu erschleichen.

Betreuungskräfte aus Drittstaaten

Mehrere deutsche Vermittler haben sich darauf spezialisiert, Pflegebedürftigen Betreuungskräfte aus nicht EU-Ländern (z.B. aus der Ukraine) anzubieten. 

Nach derzeitiger Rechtslage ist die Einreise und Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen in der häuslichen Betreuung kaum möglich. Sehr eingeschränkte Möglichkeiten bieten hierfür u.a. § 17a des Aufenthaltsgesetzes (Befreiung zur Dienstleistungserbringung für langfristig Aufenthaltsberechtigte), oder § 19 c Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 21 BeschV (VanDerElst-Visum). Geflüchtete aus der Ukraine können ferner beschäftigt werden, wenn deren Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG mit dem Eintrag „Erwerbstätigkeit erlaubt“ versehen ist.

Der erstgenannte Fall betrifft allerdings nur die Ausländer, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union die sehr selten vorliegende Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten innehaben. Sie sind für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck einer Beschäftigung nach § 30 Nummer 3 der Beschäftigungsverordnung für einen Zeitraum von bis zu 90 Tagen innerhalb von zwölf Monaten vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.

Auch die Voraussetzungen für das Ausstellen von einem VanDerElst-Visum liegen in den meisten Fällen nicht vor. Die Voraussetzung der Dienstleistungsfreiheit ist grundsätzlich, dass der Arbeitnehmer mit dem entsendenden Unternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen hat und ordnungsgemäß beschäftigt wird. Verträge zwischen Arbeitnehmer und entsendendem Unternehmen, die einzig dem Zweck dienen, den Arbeitnehmer in einen anderen EU-Mitgliedsstaat zu entsenden, ohne dass vor oder nach der Entsendung eine Beschäftigung im ersten Mitgliedsstaat erfolgt, fallen in der Regel nicht unter die Vander-Elst-Regelung. Weitere Voraussetzung ist, dass die Dienstleistung nach dem Vertrag zwischen Entsender und Drittbetrieb im EU-Mitgliedstaat vom Entsender in eigener Verantwortung und im Wesentlichen frei von Weisungen des Drittbetriebs ausgeführt wird.

Den osteuropäischen Unternehmen wird ausdrücklich abgeraten, Drittstaatsangehörige nach Deutschland zu entsenden. Deutsche Vermittler und deren osteuropäische Partner machen sich i.d.R. nach folgenden Rechtsvorschriften strafbar: Einschleusen von Ausländern (§§ 96, 97 AufenthG); Ausländerbeschäftigung in größerem Umfang (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG); Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung oder ohne Aufenthaltstitel und zu ungünstigen Arbeitsbedingungen; Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a Abs. 1, 2 StGB).

Entsandte (A1-Verfahren) Betreuungskräfte aus Osteuropa: der legale Weg

Die meistverbreitete rechtliche Konstruktion der Entsendung ist die Entsendung von osteuropäischen Betreuungskräften durch Pflegeagenturen mit Sitz in einem anderen EU-Land, z.B. Polen.

In diesem Einsatzmodell schließt die Betreuungskraft einen Vertrag mit einer aktiven Pflegeagentur mit Sitz in der EU. Sie unterliegt dem vollen Sozial- und Krankenversicherungsschutz. Sie ist stets in Besitz der europäischen Entsendebescheinigung A1. Die Betreuungskraft wird nicht ausgebeutet. - Der Mindestlohnschutz findet auf diese Rechtsverhältnisse Anwendung. Das Bundesarbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg haben neulich (2021 und 2022) entschieden, dass die in diesem System entsandten Betreuungskräfte das Recht haben, Ansprüche aus dem deutschen Mindestlohngesetz vor einem deutschen Gericht geltend zu machen. Jederzeit können die auf diese Weise beschäftigte Betreuungskräfte zuständige ZOLL-Stellen, und andere Behörden (Europäische Arbeitsbehörde ELA) oder auch Arbeitsinspektionen in ihrem Heimatland kontaktieren oder ihre Ansprüche auf dem schnellen gerichtlichen Weg geltend machen.

Zertifizierung „CBE 2023 | Grenzüberschreitende Beschäftigung in der häuslichen Betreuung“

Die Kanzlei Brighton&Wood führt für den EuropaVerband für häusliche Pflege und Betreuung e.V. die Zertifizierung von ausländischen Pflegeagenturen und von deutschen Vermittlern durch.

Die Unternehmen werden auf legalität der Entsendung geprüft.

Zertifizierte Unternehmen garantieren höhere Versorgungsqualität für Pflegebedürftige, fairere Arbeitsbedingungen für Betreuungskräfte und Transparenz für Partner.

Das Zertifikat „CBE 2023 | Grenzüberschreitende Beschäftigung in der häuslichen Betreuung“ erhalten Unternehmen, die strengste Anforderungen erfüllen:

  • Anforderungen an Betreuungskräfte: Betreuungskräfte verfügen über personale Kompetenzen, sozial-kommunikative Kompetenzen, Handlungskompetenzen sowie über betreuungsbezogenes Grundlagenwissen. Betreuungskräfte haben Deutschkenntnisse mindestens der Stufe A1 und haben auch ein Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Ein polizeiliches Führungszeugnis liegt vor. Betreuungskräfte haben die vom PflegeInstitut organisierte Ausbildung „Häusliche Betreuung in Deutschland“ absolviert und nehmen alle drei Jahr an den Weiterbildungskursen für Fortgeschrittene teil.
  • Anforderungen an Vermittler von Betreuung in der häuslichen Gemeinschaft: CBE-Zertifizierte Vermittler müssen Verbraucher über alle Aspekte der Dienstleistung informieren. Zertifizierte Vermittler müssen den Betreuungs- und Pflegebedarf präzise ermitteln anschließend sind die in Frage kommenden Betreuungskräfte auf ihre Eignung geprüft. Der Vermittler stellt für den Pflegebedürftigen und seine/ihre Familie den Ansprechpartner zur Verfügung. Dies umfasst eine Erreichbarkeit in Notfällen, regelmäßige pflegefachliche Beratung sowie Qualitätssicherung der häuslichen Betreuung.
  • Anforderungen an Dienstleistungserbringer: Dienstleistungserbringer werden auf die Legalität der Entsendung geprüft. Minijobs, Midijobs, (Schein)Selbständigkeit und andere Formen der Ausbeutung schließen das Erlangen des Zertifikats aus. Auch die Anwendung von
  • agressiven Optimierungssystemen wie die kumulative Berechnung von Sozialabgaben und Lohnsteuern schließt das Erlangen des Zertifikats aus. A1 Formulare werden geprüft. Dienstleistungserbringer müssen in deutscher Sprache erreichbar sein und für ihre Betreuungskräfte rund um die Uhr eine Notfall-Hotline in der jeweiligen Muttersprache zur Verfügung halten. Dienstleistungserbringer führen für ihre Betreuungskräfte Sprach-, Erste Hilfe – sowie Aus- und Weiterbildungskurse durch.

Literaturhinweis:

„Entsendung von polnischen Betreuungskräften nach Deutschland. 2023.” | Tomasz Major (Hrsg.) | 1180 Seiten | Berlin, 2023

Opieka 2023

Rechtlicher Hinweis:
Der EuropaVerband für häusliche Pflege und Betreuung e.V. leistet keine Rechtsberatung und übernimmt keine Haftung.

 

 

 

ILLEGALE BESCHÄFTIGUNGSMODELLE POLNISCHER BETREUUNGSKRÄFTE IN DEUTSCHLAND
www

Informationsbroschüre für Pflegekräfte und Dienste – auf Polnisch und Deutsch – zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung

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